Bericht zum Klimakongress der Fraktion im Landtag “Klima kennt keine Grenzen”

Der 11. Sächsische Klimakongress “Klima kennt keine Grenzen – neue Allianzen in Zeiten nationaler Abschottung” der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Sächsischen Landtag startete am Samstag, 2.12., in Dresden mit 170 Besucherinnen und Besuchern.
Volkmar Zschocke, Vorsitzender der Fraktion, erinnerte zu Beginn an die “ermutigende Jetzt-erst-recht-Stimmung” auf der Internationalen Klimaschutzkonferenz im November in Bonn: “Auch wenn Regierungen und große Unternehmen blockieren, stagnieren oder sich sogar rückwärts bewegen, ist es sinnvoll und rational vernünftig, auf der jeweiligen Ebene darunter TROTZDEM zu handeln – also in den einzelnen Bundesländern und Kommunen.”
Der Forschungskoordinator für Energie- und Klimapolitik am Berliner Büro des Öko-Instituts, Dr. Felix Matthes, nahm Bezug auf die drohende Verfehlung des Klimaschutzziels bis zum Jahr 2020 in Deutschland: “Es geht nicht nur darum CO2-Emissionen zu senken, es geht vor allem darum, sie zügig zu senken. Je schneller wir das tun, um so mehr Freiheitsgrade haben wir in der Zukunft.”
Gerd Lippold, klima- und energiepolitischer Sprecher der GRÜNEN-Landtagsfraktion, wies die Hoffnung einiger Politiker zurück, man könne Vorteile aus der Verweigerung des Klimaschutzes ziehen: “Sie werden das Gegenteil erleben. Jene, die handeln, können auch die Chancen nutzen, die aus Klima- und Umweltschutz für Wirtschaft, Entwicklung und Beschäftigung entstehen.”
Er warnte diejenigen in Sachsen, die nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierungen hörbar aufgeatmet hatten. “Das einzige was jetzt wirklich ungewiss geworden ist, sind die bereits klar umrissenen Strukturwandelfördermittel für unsere Kohleregionen.
“Wenn das CO2-Budget für die Kohle auf dem heutigen Verstromungsniveau keine zehn Jahre mehr reicht, müssten gerade jene, die noch nach 2030 Kohlekraftwerke am Netz haben wollen, schnellstens die Kohleverstromung halbieren. Über das Treibhausgas-Gesamtbudget lässt sich nicht verhandeln. Die Natur verhandelt nicht.”
Aus Schleswig-Holstein war Tobias Goldschmidt, Staatssekretär im Ministerium für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt, Natur und Digitalisierung, zu Gast. Er zeigte deutlich, wie ein Bundesland Verantwortung übernehmen kann. “Es reicht uns nicht, dass wir seit 2015 Schleswig-Holstein zu 100 Prozent mit erneuerbarem Strom versorgen können. Bis 2025 wollen wir zusätzlich die Stadt Hamburg mit erneuerbarem Strom beliefern.”
“Beim Ausbau der erneuerbaren Energien setzt unser Ministerium auf Dialog und frühzeitige Bürgerbeteiligung – das gilt auch für den Netzausbau”, begründet er den Erfolg.
Zugleich bemühe sich das Ministerium in Zusammenarbeit mit den regionalen Unternehmen, um eine Verwertung des erneuerbaren Stroms, der derzeit nicht in den Stromnetzen aufgenommen werden kann. Durch die gezielte Anforderung soll dieser künftig genutzt statt abregelt werden.
Eine weitere Herausforderung sieht Goldschmidt in einem höheren Versorgungsgrad mit Wärme aus erneuerbaren Energien.
Ulf Heitmüller, Vorstandsvorsitzender der Verbundnetz Gas AG, machte sich für eine intelligente Sektorenkopplung und den Einsatz der Gasinfrastruktur und Power-to-Gas-Technologie stark. “Damit erreichen wir unsere Klimaschutzziele und reduzieren gleichzeitig den Netzausbaubedarf. Und das zu günstigeren Kosten mit einer höheren gesellschaftlichen Akzeptanz.”
In einer Videobotschaft verdeutlichte Prof. Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, dass es beim Klimaschutz auf wirksames Handeln ankommt und sich kein Bundesland – auch nicht Sachsen – dabei heraushalten kann.
» Videobotschaft von Prof. Dr. Claudia Kempfert
» “Wer sind die neuen Partner im globalen Klimaschutz? – Dr. Felix C. Matthes, Ökoinstitut Berlin
Am Nachmittag wurde dann in vier Diskussionsforen mit den TeilnehmerInnen des Klimakongresses und den eingeladenen ExpertInnen über konkrete Strategien debattiert.
Forum A1: IT-Sicherheit von Strom- und Gasnetzen: Brauchen Stadtwerke neue Partner?
„Energienetze verschmelzen zu einem großen, das vom Datennetz zusammengehalten wird“, leitete Gerd Lippold, energiepolitischer Sprecher der Grünen-Landtagsfraktion das Forum IT-Sicherheit auf dem 11. Klimakongress ein. Er ließ keinen Zweifel daran, dass die Energieversorgung der Zukunft noch deutlich stärker als bisher von sicheren IT-Systemen abhängig sein wird.
Was dies für die Stadtwerke als regionale Energieversorgung bedeutet, erklärte Rainer Stock, Bereichsleiter Netzwirtschaft beim Verband kommunaler Unternehmen: „Ehemals entkoppelte Versorgungssysteme wachsen zusammen. Die Herausforderungen an die Datensicherheit sind enorm.“ Das gesamte Geschäftsmodell befindet sich derzeit in einem Veränderungsprozess. Neue Player auf dem Energiemarkt und zunehmend anspruchsvollere Kunden sind nur zwei Treiber des Transformationsprozesses, der durch neue Services und Dienstleistungen sichtbar wird.
Vor allem kleinen Stadtwerken empfiehlt Rainer Stock zu kooperieren. Erfolgversprechend seien die Gründung gemeinsamer Dienstleistungsunternehmen, IT-Kooperationen oder das Outsourcing von Aufgaben an externe Dienstleister.
Forum A2: Überall hin, alles drin – Ein GRÜNER Mobilpass statt Tarifdschungel?
Sechsmal mehr Ausgaben je Kopf für den öffentlichen Verkehr, mehr als 50 Prozent der Bevölkerung mit einem Abo des öffentlichen Verkehrs und die gesetzliche Verpflichtung, dass jede Gemeinde mit mehr als 200 Einwohnerinnen und Einwohnern eine gute Anbindung mit öffentlichem Verkehr haben muss – der Blick in die Schweiz erscheint aus sächsischer Perspektive wie ein Traum.
Bahn und Bus im Alpenland sind seit Jahrzehnten nationales Kulturgut mit konstant hohen Zustimmungsraten. Der vorgestellte Swiss Pass diente der GRÜNEN-Bundestagsfraktion als Vorbild für die Idee eines GRÜNEN Mobilpass. Dieser soll mit einem einfachen Tarif und Ticketing die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel deutlich attraktiver machen. Dazu braucht es gesetzliche Regelungen, v.a. aber auch ein deutlich besser ausgebautes und vertaktetes Angebot.
Mit dem Sachsentakt liegt dafür ein Konzept der GRÜNEN-Landtagsfraktion vor.in den Bereichen der Demokratieforschung und des Ausbaus der erneuerbaren Energien geführt.
Forum A3: Blockaden auflösen: Wie wird aus Klimaschutzkonzepten eine klimagerechte Stadtplanung?
Dieser Frage stellten sich Prof. Dr. Kristine Kern vom Leibniz Institut für raumbezogene Sozialfoschung und Bernhard Herrmann, Stadtrat der Grünen in Chemnitz aus ihren jeweiligen Perspektive. Moderiert wurde das von 80 Interessierten besuchte Forum von der Umweltbürgermeisterin der Stadt Dresden Eva Jähnigen.
Zunächst stellte die Wissenschaftlerin Kristine Kern, die über umfangreiche internationale Erfahrungen verfügt, verschiedene Klimaschutz- und Klimaanpassungsprogramme wie z.B. POCACITO (Post Carbon Cities of Tomorrow) oder Covenant of Mayors vor. Sie betonte, dass stets regional sehr unterschiedliche Strategien verfolgt werden müssen, die die jeweiligen Gegebenheiten vor Ort berücksichtigen. In ihren Forschungsprojekten zur nachhaltigen Entwicklung von Städten und Regionen stieß sie überall auf das gleiche Phänomen: es gibt Vorreiter- und Nachahmerstädte und viele, viele Nachzügler, die noch gewonnen werden müssen. Sie verwies darauf, dass es für die CO2-Reduktion neben verbindlichen Vorgaben zu den Reduktionszielen entschlossener und handlungsbereiter Schlüsselpersonen in der Stadtführung, in der Zivilgesellschaft und in der Industrie bedarf.
Bernhard Herrmann zeichnete zunächst den Wandel der Energieversorgung in der Stadt Chemnitz nach und blickte dabei bis ins 19. Jahrhundert zurück. Verschiedene Epochen brachten spezifische Bedürfnisse mit sich. Ergebnis dieser Entwicklung war, dass Chemnitz Ende der 80er Jahre über das modernste Kohlekraftwerk der DDR verfügte. Seine Erfahrungen als Stadtrat bestätigten, dass Veränderungsprozesse bei der Stromerzeugung stets das Zusammenspiel der Zivilgesellschaft, der Stadtverwaltung, des Stadtrates und der Stadtwerke erfordere. Außerdem müssten die in den Stadtwerken tätigen Menschen in den Wandel einbezogen werden. Positiv hob er das in den Jahren 2006/2007 etablierte Bürgerkraftwerk hervor. Stadträte und Stadtverwaltung müssten sich stärker als bisher in Richtung des Einsatzes erneuerbarer Energien engagieren.
Dass die Reduzierung des CO2-Ausstoßes keinen weiteren Zeitaufschub zulässt, darin waren sich alle Beteiligten einig!
Forum A4: Gibt es ein Leben ohne Plastikmüll? – Workshop
Ja, es ist möglich, auf viel Plastikmüll zu verzichten. Drei Selbstversuche zeigten Chancen und Probleme dabei auf:
Zunächst berichtete Matthias Jobke von seinem Selbstversuch “Ein Leben (fast) ohne Plastik” und vielen einfachen Lösungen für Küche und Bad. Komplett plastikfrei geht es nicht, aber der individuelle Plastikabfall kann ohne Verlust von Lebensqualität erheblich reduziert werden. Denn zur Plastikverpackung gibt es zahlreiche Alternativen, angefangen vom Stoffbeutel bis hin zum eigenen Gefäß, welches zum Abfüllen der Lebensmittel mit ins Geschäft genommen wird.
Das berichteten auch die TeilnehmerIinnen am Selbstversuch „Plastikfreier Einkauf“, die vor dem Workshop einmal im Netto-Supermarkt und einmal im Lose-Laden die Zutaten für ein vorher verteiltes Rezept weitgehend plastikfrei einzukaufen sollten. Im Ergebnis konnte im Lose-Laden (siehe Bilder) zwar keine Zeit gespart werden, weil das individuelle Abwiegen und Verpacken einen zusätzlichen Zeitaufwand bedeutet. Aber unterm Strich war es im Lose-Laden kostengünstiger, da nur die notwendige Menge beschafft wurde. Schneller ging es beim Netto, allerdings war hier der Plastikanteil der Verpackung wesentlich höher.
Volkmar Zschocke entführte die Workshop-TeilnehmerIinnen dann noch nach San Francisco – mit 4,3 Millionen EinwohnerInnen in der Metropolregion durchaus mit Sachsen vergleichbar. Durch Müllvermeidung, Reduktion, Wiederverwendung, Recycling und Kompostierung ist es in San Francisco gelungen, die Recyclingquote bereits im Jahr 2012 auf 80 Prozent zu steigern. 2013 folgte ein komplettes Verbot von Einweg-Plastiktüten mit dem Ergebnis, dass 80-90 Prozent weniger Tüten im Abfall waren. Seit 2017 sind auch Styropor-Verpackungen verboten. Es gibt ein kommunales Online-System für die kostenlose Weitergabe von gebrauchten Gütern und Beschaffungsvorschriften für langlebige, recycelbare und wieder zerlegbare Produkte.
Auch Sachsen muss sich auf den Weg in eine insgesamt abfallfreie Gesellschaft machen, indem natürliche und technische Stoffe im Kreislauf genutzt werden. Eine solche Zero-Waste-Perspektive fehlt allerdings in der sächsischen Abfallwirtschaft. Abfälle zu verbrennen oder energetisch zu nutzen, kann keine langfristige Strategie sein – nicht zuletzt, weil dies auch den Klimaschutzanforderungen widerspricht.
Der Film zum Kongresstag läuft hier:
https://www.facebook.com/GrueneFraktionSachsen/videos/393819081053388/