Stefan-Felix Winkler zum Urwahlforum in Erfurt am 06.11.2016

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PERSÖNLICHE AUSWERTUNG GRÜNES URWAHLFORUM ERFURT (06.11.16)

Am 06.11.16 fuhr ich per Zug von Torgau aus nach Erfurt. Nach einer sehr schönen Stadtbesichtigung der alten Handels- und Universitätsstadt Erfurt nahm ich am grünen Urwahlforum in Erfurt teil. Es fand im nüchternen Comcenter Brühl (Mainzerhofplatz) statt und wurde für die drei Bundesländer Sachsen, Sachsen- Anhalt und Thüringen ausgerichtet.

Die zahlreichen anwesenden grünen Mitglieder bzw. Sympathisanten konnten sich bürgernah („Basis ist Boss“) eine fundierte Meinung bilden, wer das grüne Spitzenduo für die Bundestagswahl 2017 werden soll: Katrin Göring-Eckardt (Fraktionsvorsitzende im Deutschen Bundestag), Robert Habeck (stellvertretender Ministerpräsident Schleswig-Holsteins), Toni Hofreiter (Fraktionsvorsitzender im Deutschen Bundestag) oder Cem Özdemir (Bundesvorsitzender).

Im Eingangsstatement betonte Katrin, dass aus Wirklichkeit und Visionen Zukunft wird. Sie sprach die „Friedliche Revolution in der DDR“ an.
Robert unterstrich die Bedeutung der Bürgerbewegungen mit den Werten Freiheit, Humanität und Demokratie.
Toni hob den Schutz unserer Lebensgrundlagen als Menschheitsfrage des 21. Jahrhunderts hervor. Er setzte sich für die Verteidigung der Menschen- und Bürgerrechte ein.
Cem stellte die konsequente ökologische Modernisierung und ein weltoffenes Deutschland ins Zentrum seines Kurzvortrages.
Beim Thema Rechtspopulismus waren sich alle einig, dass die Bündnisgrünen eine hohe Verantwortung haben, durch klare politische Alternativen den Rechtspopulisten den Wind aus den Segeln zu nehmen. Die große Hilfsbereitschaft der vielen ehrenamtlichen Helfer wurde gewürdigt. Es wurde auch geäußert, dass nicht alle AfD-Wähler Rechtsextreme seien und man diese für demokratische Parteien zurückgewinnen müsse.
Den „Asylrechtskompromiss“ im Bundesrat, an der die „Grüne Jugend“ auf dem Erfurter Urwahlforum Kritik übte, verteidigten in unterschiedlicher Form Katrin, Robert und Cem, indem sie die positiven Aspekte des Kompromisses für mehr Menschlichkeit im Flüchtlingsschutz hervorhoben.
Toni übte an einigen Aspekten des „Asylrechtskompromisses“ grüne Selbstkritik, betonte das Prinzip einer humanen Flüchtlingspolitik und stellte den Schutz der Sinti und Roma in den Vordergrund, die seit Jahrhunderten diskriminiert werden.

Beim Thema Umweltschutz betonte Katrin die große Kernkompetenz der Grünen für den Klimaschutz. Robert kritisierte das System der Massentierhaltung als Fehler im System.
Toni forderte einen Politikwechsel: Ausstieg aus der Kohle und Agrarwende, Cem betonte die umweltspezifische Modernisierung in allen Lebensbereichen, speziell die „Elektromobil-Wende“ in kritischer Kooperation mit der Wirtschaft.
Alle Bewerber/innen waren sich einig, dass des keinen Steuerwahlkampf geben solle. Es wurde als Fehler bezeichnet, dass mit dem Steuerkonzept 2013 auch Teile der Mittelschicht belastet worden wären.
Zur Rolle der Grünen im Parteienspektrum gab es unterschiedliche Positionen.

Katrin will Grün in der Mitte der Gesellschaft verorten und das Image der „Rechthaberpartei“ loswerden.
Robert will nicht nur Koalitionsmacher sein, sondern den Weg für neue gesellschaftliche Bündnisse ebnen und eine grüne Meinungsführerschaft vorbereiten. Die Grünen seien links (Verbesserung der Gesellschaft), liberal (Schutz der Menschenrechte) und konservativ (Bewahrung der Schöpfung).
Toni will die grüne Partei vom Mainstream abheben, lehnt faule Kompromisse ab und verurteilt die zunehmende soziale Schieflage in Deutschland. Die Grünen-Wähler würden sich traditionell als links verorten.Cem will der Mitte der Gesellschaft zeigen, dass Grün wählen die moderne humane Gesellschaft voranbringt.

Einigkeit herrschte darüber, eigenständig in den Wahlkampf zu ziehen. Sowohl Rot-Rot-Grün (Stichpunkt: Sarah Wagenknecht) als auch Schwarz-Grün (Stichpunkt: Horst Seehofer) würden sich als nicht einfach gestalten.

FAZIT:
Alle zur Wahl stehenden Spitzengrünen sind hervorragende und glaubwürdige Repräsentanten der Partei.
Die nachdenkliche, leise und ironische Katrin ist das Verwöhn-Aroma. Sie wird mit großer Sicherheit Spitzenkandidatin im Bundestagswahlkampf 2017, da ein quotiertes Duo gesucht wird und sie die einzige weibliche Bewerberin ist.
Robert positioniert sich als literarisch beschlagener, kompromissorientierter und eloquenter Kandidat, der ein Urwahlforum intellektuell schwindlig reden kann und für die Einigkeit und gegen die Zerrissenheit der Partei Position ergreift.
Toni steht für das grüne Gewissen, das sozial, basisdemokratisch, friedlich und ökologisch schlägt. Er kann Leute herrlich mitreißen und vollauf begeistern. Viele sehen in ihm die Seele der Partei.
Cem repräsentiert die einzigartige Erfolgsstory der multikulturellen Grünen. Als „anatolischer Schwabe“ (Kind türkischer Gastarbeiter aus den 1960er Jahren) hat er es bis in die Spitzenposition der Grünen geschafft. Eine beeindruckende Aufstiegskarriere. Er kann Grün auch für die bürgerliche Mitte wählbar machen.
Wer macht unter den männlichen Bewerbern das Rennen? Meiner Ansicht nach völlig offen. Vielleicht ein Foto-Finish? 
Stefan-Felix Winkler > Bündnis 90/Die Grünen > KV Nordsachsen